Karin Bettschen, Pflegefachfrau aus der Schweiz, arbeitete Anfang 2017 während zwei Monaten als Volontärin bei Calcutta Rescue in Kolkata (hier der Bericht von damals). Im Frühling 2018 ist sie für einen Monat nach Kolkata zurückgekehrt. Auch dieses Mal berichtet sie von ihren Erlebnissen:

Kurz vor meiner Abreise war ich so aufgeregt, dass mir Laura, meine Tochter, Bachblüten Notfall-tropfen organisiert hat… Die waren Gold wert!

Mein erster Gedanke, als ich frühmorgens vom Flughafen von Kolkata zu meiner Unterkunft fuhr, war: Es ist, als sei ich nie weg gewesen. Dieser Eindruck hat sich im Verlauf meines Aufenthaltes gefestigt.

Alte Gewohnheiten ab dem ersten Tag

Ich laufe der Strasse entlang zur Metro. Um mich herum der Berufsverkehr, laut, sehr laut sogar. Es ist staubig (der Sandhaufen mitten auf dem Trottoir ist auch nicht kleiner geworden), es ist sehr warm (34°C) und es ist doch erst Mitte März…
Ich halte kurz bei «meiner» Tee-Frau an. Wir lächeln uns an und sie fragt: „Tea and biscuits?“ Wie schön, wieder hier zu sein, denke ich und antworte: „Only tea, please.“

„Only tea, please.“ Karin Bettschen ist zurück in Kolkata.

Eigentlich sollte ich ja wieder als „Schulschwester“ arbeiten. Zum Glück wusste ich schon im Voraus, dass die Verantwortliche des Programms während den ersten zwei Wochen abwesend ist. Somit konnte ich auch hier nahtlos meinen Leitsatz vom letzten Jahr aktivieren: Expect the unexpected!

Unterwegs mit dem Strassenmedizin-Team

Während der ersten Woche war ich hauptsächlich mit einem der Strassenmedizin-Busse unterwegs. Die zwei Fahrzeuge fahren fünfmal pro Woche mit einem medizinischen Team inklusive Arzt respektive Ärztin in verschiedene Slums. Der Bus wird parkiert und die Mitarbeitenden marschieren das Gebiet ab, um den Menschen mitzuteilen, dass das Strassenmedizin-Team angekommen ist.
Ich gehe mit und tauche einmal mehr in eine Welt ein, die mir den Atem raubt und die Tränen des Entsetzens in die Augen treibt. Diesmal bin ich wohl im Vorzimmer der Hölle (für Ratten ist es das Paradies) oder so ähnlich gelandet: Hastings heisst das Gebiet, wo die Menschen (und es wimmelt von kleinen Kindern) unter den Strassen im Dreck und Gestank, umgeben von ohrenbetäubendem Verkehrslärm, leben.

Karin Bettschen bei der Arbeit in der Nimtala Klinik

In den Slums fehlt es an fast allem. Sauberes Wasser ist Mangelware und muss Liter für Liter aus einem Wassertank herangeschleppt werden. Sanitäre Anlagen sind nicht vorhanden, es gibt nur ein Loch und als Sichtschutz mit ein paar Tüchern umwickelte Bambusstangen. Und die Menschen sind ungebildet. Ein kleines Beispiel dazu: Calcutta Rescue verteilt regelmässig Nahrungspakete mit einem Stück Seife. Im September 2017 ergab eine Evaluation, dass keines der Schulkinder und nur 13% der Erwachsenen die Seife zum Händewaschen nach dem Gang zur Toilette benutzen.

Unter den gegebenen Umständen ist das Angebot des Strassenmedizin-Programms kaum mehr als ein Tropfen auf den berühmten heissen Stein. Doch dieser Tropfen versiegt nicht, solange sich Calcutta Rescue überall dort engagiert, wo der indische Staat versagt, die Verantwortlichen der Stadt Kolkata wegschauen und die allgegenwärtige Korruption ihr Unwesen treibt! Oder mit Dr. Jacks Worten: “The traffic is going on and on and nobody cares.” Um die Lebensumstände der Menschen zu verbessern, arbeitet Calcutta Rescue kontinuierlich neue Projekte aus, welche die bestehenden Programme unterstützen. So ist aktuell die Zusammenarbeit mit einer grossen Firma, welche sanitäre Anlagen und Wasserfilter produziert, in Verhandlung.

Feier zum Welt-Tuberkulose-Tag

Am 24.März war Welt-Tuberkulose-Tag, ein Grund für die Tuberkulose-Station von Calcutta Rescue diesen Tag zu feiern. Es hat mich beeindruckt, mit welcher Begeisterung das Team für die Patientinnen und Patienten ein Fest mit Musik, Theater, Vorträgen und feinem Essen organisierte. Dabei konnte ich die Lebensfreude der von Tuberkulose geheilten Menschen und die Dankbarkeit der in Behandlung stehenden Kranken erleben.

Ich war so aufgeregt, als ich das erste Mal wieder in „meine“ Nimtala-Klinik ging. Was für eine Begrüssung. „Karin, you are back“, lachende Gesichter und unzählige Hände, die ich schütteln durfte. Natürlich hatte ich wieder Tränen in den Augen. Ich durfte dann sofort wieder mitanpacken und wurde auch mit feinem Tee versorgt. Übrigens gibt es jetzt auch eine Toilette nur fürs Personal. Sie ist aber keine wirkliche Alternative und somit bleibe ich bei meiner bewährten Methode von letztem Jahr!

Mein ursprünglich geplanter Einsatz als „Schulschwester“ hat nicht stattgefunden, dafür war ich oft mit dem Strassenmedizin-Bus unterwegs. Die Anfahrt in den Slum von Liluah Bhagar werde ich nie vergessen. Wir fahren mit dem Bus durch einen Abfallberg, meterhoch, man sieht den Himmel kaum. Wir westlichen Freiwilligen schauen uns an, niemand sagt ein Wort.

Ich wurde in den vergangenen Tagen reich beschenkt. Mein Dank geht hier auch in die Schweiz, an all die Menschen, die es mir ermöglichen, diese Einsätze für Calcutta Rescue zu tätigen!

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