Léa aus Zürich war bis vor kurzem als freiwillige Schulsozialarbeiterin bei Calcutta Rescue. Sie berichtet in einem separaten Text ausführlich über ihren Einsatz. Wir haben sie gebeten etwas klarer auf die momentane Lage der Kinder während der Pandemie vor Ort einzugehen. Sie berichtet nun in eigenen Worten die Realität die, die Kinder nun Zuhause vorfinden.

Als ich nach sechs Monaten meinen Freiwilligen-Einsatz als Schulsozialarbeiterin bei Calcutta Rescue wegen des Ausbruchs der Covid-19-Pandemie überstürzt abbrechen musste und in die Schweiz zurückkehrte, war ich zutiefst besorgt. Meine Gedanken kreisten um das psychische und physische Wohl der Jugendlichen und Kinder, welche ich in den letzten Monaten mit Suchandra, der lokalen Schulsozialarbeiterin, betreut habe. Die meisten von ihnen müssen die Zeit des Lockdowns auf engstem Raum mit ihren Familien verbringen. Es ist nicht selten, dass Familien mit mehr als sieben Mitgliedern in einem einzigen Raum leben und kochen.

“Wir sind in unserem kleinen Raum. Meine Mutter kocht, und Vater schimpft mit meinem Bruder, weil er sehr ungezogen ist. Ich helfe meiner Schwester beim Lernen und mache meine Hausaufgaben.” Arpita Mondal, 6. Klasse aus der Dilerjung Gegend. Foto: Arpita

Schon vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie berichteten viele Kinder und Jugendliche von verschiedenen Arten häuslicher Gewalt bei ihnen Zuhause. Die prekäre finanzielle Lage der Eltern, der Alkoholkonsum der Väter und die gewaltbejahende Einstellung des Umfelds sind nur einige von vielen Gründen, warum viele unserer Schülerinnen und Schüler Opfer von Gewalt verschiedenster Art werden. Ein tröstender Gedanke begleitete mich in die Schweiz: Suchandra und ich hatten in den letzten sechs Monaten ganz unabhängig von der Coronavirus-Krise viel Zeit und Energie in die Gewalt-Aufklärungsarbeit investiert. Mit den Schülerinnen und Schülern aller Altersgruppen führten wir altersgerechte Workshops zu den Themen häusliche Gewalt, sexuelle Gewalt und Mobbing durch. Nicht nur klärten wir die Kinder und Jugendlichen auf, wie sich diese Arten der Gewalt zeigen, nein, wir brachten ihnen vor allem auch nützliche Strategien bei, wie sie sich und ihre Liebsten das nächste Mal vor Gewaltausbrüchen schützen können und an wen sie sich am besten wenden sollen. Diese Strategien erarbeiteten wir mit vielen Rollenspielen und simplen Selbstverteidigungs-Tricks. Neben den Telefonnummern von Suchandra selbst und den Lehrkräften von Calcutta Rescue, welche für viele Kinder und Jugendliche wichtige Bezugspersonen darstellen, gaben wir den Schülerinnen und Schülern die „Childs-line“ an. Dieser Telefondienst wird von Psychologen und Sozialarbeiterinnen betreut.

Mit Erleichterung habe ich nun von Suchandra erfahren, dass viele Kinder und Jugendliche sie in dieser Zeit des Lockdowns telefonisch und per Whatsapp kontaktieren, um von ihr Tipps zu erhalten, wie sie mit Konflikten umgehen können.

Ich bin immer noch zutiefst beunruhigt über die erschwerten Verhältnisse, in welchen unsere Schülerinnen und Schüler zurzeit in Kolkata leben müssen. Trotzdem glaube ich, dass sie über viel Willen, Ausdauer und Resilienz verfügen und gestärkt und mutig aus dieser Krise herauskommen.

Auf Initiative der Schulleiterin Ananya wurden die Kinder gebeten ihre Erfahrungen während der Covid-19-Pandemie in Form von Zeichnungen und oder Worten zu teilen. Hier finden Sie die Galerie.

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